INTERVIEW


Ein Umdenken wird nur gelingen, wenn es sich finanziell rentiert:
Zirkuläres Bauen als Modell der Zukunft


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Die Schweizerin Barbara Buser zählt zu den führenden Architektinnen im Bereich des nachhaltigen Bauens und der zukunftsorientierten Stadtentwicklung. Mit ihrem Fokus auf die Wiederverwendung bestehender Bausubstanz vereint sie wirtschaftliche Effizienz mit ökologischer Verantwortung. Bereits 1996 gründete sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Klara Kläusler in Basel die erste Bauteilbörse der Schweiz. Seither hat sie zusammen mit Eric Honegger zahlreiche Projekte zur Umnutzung bestehender Gebäude umgesetzt. Sie ist Gastdozentin an der ETH Zürich und erhielt 2024 den renommierten Basler Kulturpreis.

Frau Buser, Sie gelten als Pionierin und Visionärin des zirkulären Bauens und setzen sich schon seit Jahrzehnten engagiert und erfolgreich für die Nutzung vorhandener Ressourcen ein. Sehen Sie sich als Systemrevolutionärin?


Barbara Buser: Ich bin überzeugt, dass wir unser System so umbauen können, dass wir großartige Bauten mit wiederzuverwendenden und erneuerbaren Materialien erstellen können. Vor allem sollten wir bestehende Bauten nicht einfach abreißen, sondern wertschätzen und weiterbrauchen. Sobald wir den Fokus auf Materialökonomie legen statt auf Schnelligkeit und Rendite, können wir den ungebremsten Verbrauch von Rohstoffen und die dementsprechenden Abfälle massiv reduzieren. Das ist möglich in der Bauwirtschaft, aber die Bauverantwortlichen und Architektinnen und Architekten müssen den ganzen Entwurfsprozess umdrehen, sich erst einmal fragen: „Was habe ich denn?“, und nicht nur „Was brauche ich, was will ich?“ – und dann versuchen, das, was sie brauchen und wollen, mit dem zu erreichen, was sie schon haben.


„Wir sollten bestehende Bauten nicht einfach abreißen, sondern wertschätzen und weiterbrauchen. Sobald wir den Fokus auf Materialökonomie legen statt auf Schnelligkeit und Rendite, können wir den ungebremsten Verbrauch von Rohstoffen und die dementsprechenden Abfälle massiv reduzieren.“

Wie kommen Sie zu Ihren Projekten? Wenden sich inzwischen auch Unternehmerinnen und Unternehmer direkt an Sie, um zirkulär zu bauen?

Barbara Buser: Unsere Projekte sind meistens selbst initiiert oder sie entstehen durch persönliche Kontakte. Unsere Auftraggeber sind Privatpersonen, Organisationen, Stiftungen, Vereine, aber auch Firmen – da gibt es kein Limit.

Im ersten Moment erscheint es günstiger, Teile von Altbauten wiederzuverwerten als neu zu bauen. Allerdings ist der Prozess durchaus aufwendig und verlangt auch von Architektinnen und Architekten komplexere Zeitinvestitionen. Wie gelingt es, solche Projekte wirtschaftlich umzusetzen – sowohl für Auftraggeberinnen und Auftraggeber als auch für Architekturbüros? Und welche Hürden gibt es noch immer?

Barbara Buser: Laut der nicht mehr geltenden SIA-Honorarordnung konnten Planerinnen und Planer für Umbauten 20 Prozent mehr Honorar verlangen. Wir haben das nie gemacht, weil wir Umbau als unsere Kernkompetenz betrachten. Beim Bauen mit wiederverwendbaren Bauteilen müsste dieser Zuschlag bezahlt werden, damit die Rechnung aufgeht. Das Bauen mit gebrauchten Bauteilen ist immer noch sehr anspruchsvoll. Aber mit jeder gemachten Erfahrung geht es ein bisschen leichter und schneller; die Lernkurve ist steil.

Was ist die Library of Reuse?

Die Library of Reuse ist eine digitale Sammlung und Plattform, die Wissen, Beispiele und Ressourcen zum Thema Wiederverwendung (Reuse) in der Baubranche zugänglich macht. Ziel ist es, Wissen und Praxis rund um nachhaltige Bauweise zu verbreiten und Akteurinnen und Akteure zu vernetzen, die in diesem Bereich tätig sind. Die Plattform bietet mehrere Kategorien von Inhalten, unter anderem:

  • Pioneers   
    Personen oder Organisationen, die Vorreiter sind im Bereich Reuse – mit Einblicken in ihre Arbeitsweise, Ideen, Innovationen. 
  • Projects    
    Praxisbeispiele / Case Studies: konkret umgesetzte Bauprojekte, bei denen Reuse-Materialien verwendet wurden, inklusive Pläne, visuelle Touren usw. 
  • Products    
    Materialien und Komponenten, die für Wiederverwendung geeignet sind; technische Spezifikationen; Inspirationen für Architektur und Bauwesen. 
  • Media (Filme, Podcasts, Bücher)   Dokumentationen, Interviews, Publikationen – Medienformate, die Wissen vermitteln, inspirieren oder Forschung & Praxis verbinden.

Haben Sie routinierte Prozesse, die sich auf unterschiedliche Vorhaben übertragen lassen? Sie haben ja beispielsweise die Library of Reuse initiiert, die über Pilotprojekte informiert und als Plattform für Information und Vernetzung dienen soll.

Barbara Buser: Ja, wir haben im Lauf der 27 Jahre unserer Geschäftstätigkeit viele Prozesse ausprobiert und entwickelt. Damit nicht jedes Büro wieder von vorne anfangen muss, haben wir die Planerfirma Zirkular Gmbh gegründet, die Architektinnen und Architekten sowie Bauträger in Bezug auf Weiter- und Wiederverwendung berät und unsere Erfahrung weitergibt. Auch die Library of Reuse soll den Wissenstransfer beschleunigen, denn wir haben keine Zeit mehr zu verlieren!

Veränderung findet ja nur dann flächendeckend statt, wenn große, aber gerade auch kleine und mittlere Unternehmen an einem Strang ziehen. Wie kann man für ein Umdenken sensibilisieren und was müssen die Politik und auch die Gesellschaft tun, um zirkuläres Bauen zur Normalität avancieren zu lassen?

Barbara Buser: Das Umdenken wird nur gelingen, wenn es sich finanziell rentiert. Deshalb ist es wichtig, dass wir endlich wirksame Lenkungsmechanismen einrichten, wie zum Beispiel die Lenkungsabgabe für Strom im Kanton Basel Stadt, die seit über 20 Jahren hilft, den Mehrverbrauch von Strom zu dämpfen. Je höher die Abgabe, desto grösser die Wirkung. Nur wenn es wirklich wehtut im Geldbeutel, sind die Menschen bereit, umzudenken. Die vorgezogene Entsorgungsgebühr hat es ermöglicht, die ganze Recyclingwirtschaft aufzubauen mit Sortierwerken, Zerkleinerungsanlagen, viel Transport, Lärm und Staub. 

Für die Förderung der Wiederverwendung wäre eine ähnliche Abgabe notwendig, um Inventarisierung, sorgfältige Demontage und Lagerhaltung und -logistik zu ermöglichen.


„Nur wenn es wirklich wehtut im Geldbeutel, sind die Menschen bereit, umzudenken. Die vorgezogene Entsorgungsgebühr hat es ermöglicht, die ganze Recyclingwirtschaft aufzubauen mit Sortierwerken, Zerkleinerungsanlagen, viel Transport, Lärm und Staub."


Was geben Sie bei Ihrer Lehrtätigkeit angehenden Architektinnen und Architekten mit auf den Weg?

Barbara Buser: „Go back to the roots“: Befasst euch mit Materialien und traditioneller Handwerkskunst. „Begreift“ die Baumaterialien im wörtlichen Sinn, und ihr werdet danach beim Zeichnen andere Linien ziehen, andere Gebäude entwerfen. 

„Keep the emissions of CO2 in mind, whatever you do“: Überlegt, ob ihr eine Bauaufgabe nicht auch ohne Bauen, sondern durch bessere (räumliche) Organisation erledigen könnt. Hinterfragt und reduziert die Ansprüche auf das Wesentliche – ja, da geht es um Suffizienz!

„Be smart“: Sucht die intelligenteste Lösung – weniger Bauen kostet weniger, ist also schon einmal nachhaltiger!


Vielen Dank für das inspirierende Gespräch.

Von Barbara Busers ungebremstem Engagement im Kampf gegen die Materialverschwendung zeugen Pilotprojekte wie das Ateliergebäude K.118 in Winterthur, das zu 70 Prozent aus wiederverwendeten Bauteilen besteht. Auf dem ehemaligen Sulzer-Areal in Winterthur hat die Schweizer Pensionskasse „Stiftung Abendrot“ ein Leuchtturmprojekt für klimagerechtes und nachhaltiges Bauen realisiert: ein Erweiterungsbau, der in wiederverwendetem, rötlich schimmerndem Metallblech erstrahlt. Der Anbau an das Kopfbauwerk der Halle 118 beherbergt zwölf Studios, Thinktanks und ein Tüftlerlabor – und besteht überwiegend aus gebrauchten Baumaterialien. Ihr Architekturbüro „in situ“ wurde hierfür bei der Biennale 2021 in Venedig mit dem Global Gold Award der Holcim Foundation for Sustainable Construction ausgezeichnet.

Barbara Busers neuestes Projekt ist die Franck Areal AG, die sie 2023 gemeinsam mit Pascal Biedermann und Eric Honegger gegründet hat. Ziel ist die Umgestaltung eines Teils des ehemaligen Thomi+Franck-AG-Industriegeländes von Nestlé mit dem Plan, eine gemischte, quartierbezogene Nutzung zu gestalten. Dabei soll die bestehende Bausubstanz weitestgehend erhalten bleiben. Das rund 12.000 m² große Franck-Areal soll in den kommenden Jahren nachhaltig entwickelt und zu einem lebendigen Treffpunkt werden, der verschiedene Bevölkerungsgruppen aus dem Quartier, der Stadt und der Region anzieht. Grundstein für die angestrebte Belebung ist eine hohe Nutzungsvielfalt, die sich an den vier Schwerpunkten orientiert: Tanzhaus, Kreislaufhaus, Quartier und Wohnen. So sollen vielfältige Angebote entstehen, um auf dem Franck-Areal zu tanzen, zu arbeiten, zu forschen, zu diskutieren, zu wohnen, zu essen, zu trinken, sich zu bewegen und selbstverständlich zu entspannen. 

Barbara Buser ist Architektin, Dozentin und gründete unter anderem das Baubüro in situ. Sie ist seit April 2024 ein Gesicht der Klimakampagne „Gut fürs Klima, gut für Basel“ des Präsidialdepartementes des Kantons Basel-Stadt. Barbara Buser lebt und arbeitet in Basel.
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Das Interview führte Katja Gutschmidt. Sie ist Mitarbeiterin im Bereich „Kommunikation“ beim RKW Kompetenzzentrum.
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